Wie viele Menschen leiden an Long COVID weltweit?

Wie viele Menschen leiden an Long COVID weltweit?

Eine aktuelle systematische Übersichtsarbeit mit Meta-Analyse liefert erstmals eine globale Schätzung der Prävalenz von Post-COVID-19-Zuständen auf Basis ausschliesslich prospektiver Studien.

Das Forschungsteam durchsuchte sechs grosse medizinische Datenbanken sowie drei Preprint-Server (Plattformen die Studien zeigen, die noch nicht in einer geprüften wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht wurden, siehe Infobox). In die Analyse eingeschlossen wurden Studien, die sich prospektiv mit dem Auftreten von Post-COVID-19-Zuständen befassten.

 

In prospektiven Studien werden Menschen für einen bestimmten Zeitraum in die Zukunft beobachtet. Im Fall von Long COVID bedeutet das zum Beispiel, dass der Gesundheitszustand von Personen nach einer COVID-19 Infektion für einen bestimmten Zeitraum systematisch überwacht wird.

So entsteht eine einheitliche Datengrundlage auf deren Basis nach Abschluss der Studienlaufzeit bestimmt werden kann, wie viele von den infizierten Personen wieder gesund sind und wie viele immer noch unter Symptomen leiden.

Das Gegenteil einer prospektiven Studie ist eine retrospektive Studie, hier werden im Nachhinein Patientenakten nach Daten durchsucht, die Hinweise bezüglich einer bestimmten Fragestellung geben.

Der Vorteil der prospektiven Studie ist, dass von vorneherein festgelegt ist, welche Daten erfasst werden sollen und entsprechend am Ende alle relevanten Daten in gleichem Format vorhanden sind – das ist bei retrospektiven Studien nicht immer der Fall.

 

In der Meta-Analyse zum globalen Vorkommen von Long COVID lag der Fokus auf Studien, die einen Zeitraum von mindestens zwölf Wochen nach der akuten COVID-19 Infektion abdeckten – entsprechend der Definition der WHO.

Insgesamt wurden 194 prospektiven Studien mit insgesamt über 480'000 Teilnehmenden weltweit. Ziel war es, die globale Prävalenz von Symptomen und funktionellen Einschränkungen zu erfassen, die mindestens drei Monate nach einer bestätigten COVID-19-Infektion fortbestehen.

Über die Hälfte der infizierten Personen entwickelten wies auch nach einem Jahr noch mindestens ein Long COVID Symptom auf.

Die Analyse ergab: Mehr als die Hälfte der COVID-19-Betroffenen berichten auch nach Monaten noch über mindestens ein Symptom. Im Zeitraum von 12–26 Wochen nach Infektion berichteten 56.5 % der Betroffenen in Studien, die diesen Zeitraum beobachteten, mindestens ein Symptom, nach 27–39 Wochen waren es 50.9 % und nach 40–52 Wochen 32.6 %. Nicht alle Studien betrachteten die Infizierten über den gesamten Zeitraum.

 

Diese Schwankungen zeigen: Long COVID ist kein statisches Phänomen. Je nach Zeitpunkt, Symptom und Studienqualität unterscheiden sich die Ergebnisse teils deutlich.

 

Die Analyse untersuchte die Häufigkeit von über 20 Symptomen. Besonders häufig waren:

  • Fatigue (26.9–30.7 %)
  • Konzentrationsprobleme (bis zu 29.9 % nach 1 Jahr)
  • Schlafstörungen (bis zu 29.4 %)
  • Dyspnoe (Atemnot) (14.8–20.5 %)
  • Depressionen (bis zu 40.4 %)

 

Die Qualität der Ergebnisse wurde oft als niedrig bewertet – vor allem, weil die Studien sehr unterschiedlich aufgebaut waren, keine einheitlichen Regeln für die Diagnose nutzten und häufig Menschen aus dem Krankenhaus untersuchten.

Die Meta-Analyse zeigte Hinweise darauf, dass Frauen, Personen mit schwerem Verlauf und solche mit Intensivpflegebedarf während der akuten Infektion häufiger Langzeitfolgen berichteten. Doch: Viele dieser Subgruppenvergleiche waren nicht statistisch signifikant – die Datenlage bleibt also uneinheitlich.

Fast ein Viertel der Betroffenen in den analysierten Studien gab an, auch nach einem Jahr noch nicht arbeitsfähig zu sein.

Die eingeschlossenen Studien wiesen häufig auf funktionelle Einschränkungen bei den Betroffenen hin. Aus den Studien, in denen die infizierten Personen länger als 1 Jahr nach ihrer initialen COVID-19 Infektion noch mindestens ein Symptom aufwiesen, wurde die Häufigkeit funktioneller Einschränkungen berechnet.

 

  • 8-50.2% gaben an nach einem Jahr nicht in der Lage zu sein zu Ihrem Beruf zurückzukehren
  • 3-32.4% sind nach einem Jahr nicht zu Ihrem Beruf zurückgekehrt
  • 2-17.0% berichteten Schwierigkeiten im Ausführen alltäglicher Tätigkeiten
  • 0-16.3% berichteten Einschränkungen der Mobilität
  • 8-2.0% berichteten Schwierigkeiten mit der Selbstversorgung

Wie glaubwürdig sind diese Ergebnisse?

Diese Meta-Analyse ist die bislang grösste ihrer Art – und sie zeigt, dass Long COVID keine Randerscheinung ist. Trotzdem ist es schwierig die Häufigkeit von Long COVID eindeutlig zu bestimmen. Zu heterogen sind die Studien, zu unterschiedlich die Messmethoden, zu viele Aspekte sind noch ungeklärt.

Die Ergebnisse der Metastudie liefern vergleichsweise hohen Prävalenzzahlen, viele bisherige Studien, besonders populationsbasierte Studien (Schliessen die Allgemeinbevölkerung ein) schätzen die Prävalenz niedriger (5-20%). Dieser Unterschied lässt sich durch mehrere methodische Faktoren erklären:

 

  • Die Analyse umfasst fast ausschliesslich Studien mit PCR-bestätigten COVID-19-Fällen. Diese Fälle waren meist symptomatisch oder schwerer betroffen – und somit anfälliger für Langzeitfolgen.
  • Viele der einbezogenen Studien rekrutierten PatientInnen aus Krankenhaus- oder Rehabilitationskontexten, was zu einer Überrepräsentation schwerer Verläufe führt. Dadurch steigen auch die berichteten Langzeit-Symptome.
  • Es gab grosse Unterschiede in Studiendesign, Nachbeobachtungsdauer und Symptomdefinitionen. Diese Heterogenität führt zu breiten Konfidenzintervallen und erschwert Vergleiche.
  • Die Daten stammen oft aus Gruppen, die ohnehin im medizinischen System eingebunden waren – Personen mit mildem oder asymptomatischem Verlauf sind dadurch unterrepräsentiert.
  • Viele Symptome wurden per Selbstbericht erfasst, was das Risiko für Über- oder Unterschätzung erhöht.

 

Die AutorInnen betonen daher, dass ihre Ergebnisse keine repräsentativen Bevölkerungszahlen darstellen, sondern ein gezieltes klinisches Bild zeichnen.

 

Fazit

Long COVID ist real, belastend und betrifft weltweit Millionen Menschen – auch über ein Jahr nach der Infektion. Die Meta-Analyse liefert wertvolle Zahlen, aber auch eine wichtige Erkenntnis: Wir brauchen genauere Daten, bessere Studien und gezielte Unterstützung für Betroffene.